Kohleausstieg 2030? „Dann muss es jetzt losgehen“

Quelle: Rheinische Post vom 05.10.2021/ Foto: Christos Pasvantis

BMR Energy Solutions mit Sitz in Geilenkirchen zählt zu den größten Planern und Betreibern von Windkraft- und Solarenergieanlagen in der Region und hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten 255 Winkraftanlagen realisiert. Im Interview sprechen Geschäftsführer Guido Beckers und Energie-Experte Paul Steuter über die Bundestagswahl, den Kohleausstieg und über frustrierend lange Genehmigungsverfahren.

 Herr Beckers, warum werden seit einigen Jahren auch in NRW kaum noch neue Windräder gebaut?

Guido Beckers: Momentan haben wir in NRW eine Abstandsregelung von 1000 Metern. Das ist ein Hemmnis, mit dem man den Windenergieausbau nicht wirklich weiter vorantreiben kann. Wir haben analysiert, welche Flächenkulisse man generieren könnte, wenn man den Abstand auf 900 oder 800 Meter verkürzt. Eigentlich sind wir aber überhaupt kein Freund von Abstandsregelungen. Es ist doch immer eine individuelle Sache, wo welche Abstände Sinn machen, mit welchen anderen Restriktionen man vor Ort zu tun hat. Aber wenn wir mal von 800 Metern ausgehen würden, hätten wir im Kreis Heinsberg grob zwei Prozent der Gesamtfläche, die für Windkraft zur Verfügung stünde. Wenn man diese Fläche wirklich nutzt, und zwar immer mit der neuesten Technologie, dann reicht das völlig aus. Dann muss es nicht so sein, dass in Zukunft wesentlich mehr Windenergieanlagen betrieben werden als heute.

Muss man stattdessen alte Anlagen durch neue ersetzen?

Beckers: Repowering ist aus unserer Sicht ein Muss. Da wo Windenergieanlagen 20 Jahre betrieben worden sind, müssen neue errichtet werden. Wir haben jetzt eine Technologie, mit der wir die Anlagenanzahl halbieren können, aber die Leistung verdoppeln. So schaffen wir es, auf der gleichen Fläche das zweieinhalbfache bis dreifache an elektrischer Energie zu erzeugen.

Paul Steuter: Im Kreis Heinsberg stehen heute knapp 140 Windenergieanlagen. Wir haben ein Szenario bis 2040 aufgebaut, in dem wir davon ausgehen, dass die bestehenden Anlagen repowert werden. Erstaunlicherweise ist herausgekommen, dass die Anzahl der Anlagen gar nicht stark erhöht werden muss, um einen massiven Zuwachs an Energie aus Windkraft zu erreichen Sie wird vielleicht sogar leicht abnehmen, weil wir weniger, dafür aber größere und leistungsstärkere Anlagen bekommen.

Warum sind die Anlagen so viel besser heute?

Beckers: Der größte Faktor ist der Rotordurchmesser. Die älteren Anlagen haben einen Durchmesser von 60 bis 80 Meter, die neuen haben 150 bis 160 Meter. Da reden wir über eine vom Rotor überstrichene Fläche, die größer ist als zwei Fußballplätze.

Neue Flächennutzungspläne sehen mittlerweile teils gar keine Maximalhöhe für die Windräder vor, weil die Technik sich so schnell entwickelt. Werden die Windräder jetzt immer riesiger?

Beckers: Wenn ich einen 160-Meter-Rotor habe, dann hilft mir das nicht, dies mit einer Windenergieanlage von 180 Metern Gesamthöhe zu betreiben. Der muss hoch in die Luft, da habe ich bessere und konstantere Windverhältnisse. Deswegen wird es in Zukunft Anlagen bis zu 240 Metern Gesamthöhe geben. Wir glauben aber nicht, dass es noch wesentlich höher wird, weil dann auch der Aufwand, etwa die Statik, das Fundament, der Materialeinsatz immer größer wird. Es gibt aber schon jetzt einige 240 Meter hohe und viele 200 Meter hohe Anlagen. Für einen Ungeübten, der in die Landschaft schaut, ist das aber ehrlich gesagt kaum auseinanderzuhalten.

Wir haben eine Bundestagswahl hinter uns. Wie bewertet ein Unternehmer aus dem Bereich Erneuerbare Energien das Ergebnis?

Durchaus positiv. Man muss jetzt abwarten, welche Koalition zustande kommt. Aber wir denken schon, dass das Thema Klimaschutz eine sehr große und wichtige Rolle spielen wird in der neuen Regierung. Dass da überlegt wird, wie wir die Energiewende und den Weg zur Klimaneutralität schnellstmöglich bestreiten. Es geht ja nicht nur um erneuerbare Energien, sondern um das ganze System. Versorgungsnetze, Wasserstoff, Energiegewinnung, Digitalisierung, Speicherausbau – diese Zahnräder müssen jetzt ineinandergreifen. Das hat bislang, wenn man ehrlich ist, nicht wirklich geklappt. Erneuerbare Energien haben schon einen hohen Anteil am Stromverbrauch. Aber Sektoren wie Mobilität, Wärme und Industrie sind noch gar nicht dekarbonisiert.

Immer mehr Menschen fordern einen Braunkohleausstieg schon 2030. Kriegen wir es hin, bis dahin ein stabiles Stromnetz nur aus erneuerbaren Energien zu schaffen?

Beckers (überlegt lange) Da müsste man schon sehr ambitioniert unterwegs sein, da müsste viel passieren. Bis 2030? Dann bleibt keine Zeit mehr, dann muss es jetzt sofort losgehen. Wenn man sieht, wie die Genehmigungsverfahren bei uns in der Windenergie aussehen – wir haben fünf bis sechs Jahre Laufzeit, und obendrauf kommen häufig noch Klagen und Gerichtsverfahren. Diese Planrechtverfahren dauern definitiv viel zu lange, wenn wir jetzt unsere PS auf die Straße kriegen wollen.

Dass die Bürokratie der Energiewende immer wieder Steine in den Weg legt, muss für Sie doch unfassbar frustrierend sein.

Die Planrechtverfahren sind nun mal sehr aufwändig und mehrstufig. Danach kommen noch Genehmigungsverfahren, auch die sind sehr aufwändig und teilweise mehrstufig. Und dann landet man aus verschiedenen Gründen oft noch vor Gericht. Und wenn jemand klagt, kommt man unter drei Jahren Verzögerung fast nicht weg. Das summiert sich alles. Es ist ganz wichtig, diese Prozesse zu verschlanken. Oftmals sind es bei jedem Verfahren die gleichen Themen, die in jeder  Verfahrensstufe dann insgesamt vier- oder fünfmal durchdekliniert werden. Natürlich müssen bei einer Windparkgenehmigung alle Belange berücksichtigt werden. Aber reicht es nicht aus, wichtige Themen nur einmal zu besprechen? Da hätten wir enorm viel Verschlankungspotenzial. Wenn Projekte so lange laufen, man kurz vor einer Genehmigung steht, und es dann doch wieder nicht klappt, ist das schon ärgerlich. So wird man nicht bei einem Kohleausstieg von 2030 landen, darüber müssen wir uns im Klaren sein.

In NRW stehen bereits sehr viele Windräder, gerade Bayern sperrt sich aber fast komplett gegen einen Ausbau. Braucht es auch dort ein Umdenken?

Es gibt Teile in der Bundesrepublik, da passiert in Sachen Windenergie gar nichts., vor allem im Süden. Die haben sich früher damit rausreden können, dass sie schlechtere Windverhältnisse haben. Aber die Gesetzte sind ja mittlerweile so, dass die schlechten Windstandorte besser vergütet werden, so dass es keine finanzielle Frage mehr ist. Wir müssen ein Umdenken hinbekommen und auch erkennen, dass in der Energiewende und der Dekarbonisierung viele Arbeitsplätze entstehen werden. Das gilt gerade für unsere Region und den anstehenden Strukturwandel.

Neben Windkraft spielt auch die Solarenergie eine entscheidende Rolle. Sehen Sie die Zukunft dort eher in dezentralen Photovoltaik-Anlagen auf Hausdächern oder in großen Solarparks?

Beides ist wichtig. Auf Hausdächern brauchen wir Photovoltaikanlagen, mit denen der Strom für das Laden des Autos gewonnen wird und mithilfe eines Management-Systems der Stromverbrauch im Haus optimiert wird, um möglichst viel Sonnenstrom zu nutzen. Wir kommen aber auch nicht an großen Solarparks vorbei. Wir brauchen die Leistung, gerade wenn wir grünen Wasserstoff nutzen wollen. Da stehen ja auch große Flächen zur Verfügung. Es gibt das Thema Agri-Photovoltaik, also Solarstromerzeugung auf dem Feld. Das steckt in den Kinderschuhen, ist aber gerade für unseren Kreis ein extrem spannendes Thema, weil ich keinen Flächenverschleiß habe.

Das größte Problem der Erneuerbaren Energien ist, dass sie schlecht speicherbar sind. Ist Wasserstoff hier die einzige Lösung?

Steuter: Da wird es einen Technologiemix geben müssen. Zum Beispiel Pumpspeicherkraftwerke,  Batteriespeicher und grüner Wasserstoff. Es gibt das Worst-Case-Szenario der Dunkelflaute, das alle paar Jahre mal vorkommt, wo es windstill ist und gleichzeitig keine maßgebliche Sonnenleistung zur Verfügung steht. Um solche Phasen, die bis zu zwei Wochen dauern können, zu überbrücken, braucht man Wasserstoff. Das gute ist, dass wir die bestehende Gas-Infrastruktur und insbesondere die Gasspeicher für Wasserstoff ja weiter nutzen können. Es ist alles schon vorhanden, wir müssen nur den Systemwechsel hinkriegen. Grüner Wasserstoff ist aktuell aber auch wesentlich erforderlich, um Teile der Industrie und des Schwerlastverkehrs klimaneutral aufzustellen. Das Interesse und die Nachfrage aus diesen Sektoren ist sehr groß.

Ist eine Klimaneutralität im Jahr 2045 realistisch?

Steuter: Definitiv. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass wir heute anfangen, nur noch in klimaneutrale Technik zu investieren.

Sehen Sie diese Bereitschaft bei Unternehmen und Kommunen?

Beckers: Bei Unternehmen merken wir, dass die Bereitschaft, sich zu dekarbonisieren, sehr groß ist. Das muss man ganz klar sagen. Große Teile der Wirtschaft haben das für sich erkannt und sind auch gewillt, es umzusetzen. Bei den Kommunen ist es so, dass der Klimaschutz an jeder Stelle mitgedacht werden muss. Zum Beispiel in neuen Wohnquartieren. In Planverfahren müssen die Themen erneuerbare Energien und Klimaneutralität eine zentrale Rolle spielen, auch in Gewerbe- und Industrieflächen. Wie bekomme ich Windenergie und Photovoltaik in diese Gebiete rein? Welche Flächen brauche ich dazu? Wie muss ich die Energieversorgung planen? Plane ich das als Kommune nicht vorher genau, dann fällt es später den angesiedelten Unternehmen auf die Füße. Klimaneutralität ist ein Thema, das in der Fläche dezentral stattfindet, nicht mehr zentral,. Die Kommunen haben durch die Planungshoheit eine ganz entscheidende Rolle, wie schnell die Energiewende funktioniert und wie nachhaltig in allen Sektoren gedacht wird.

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